Der König macht mich wahnsinnig

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Schauspieler, ja, das weiß man nun von mir, Zauberer, Reisender bin ich, auch Zugbegleiter war ich, und als Diabetiker und Kontobesitzer darf ich mich auch bezeichnen. Ich vereine alles, und alles vereint eines: Ohne Technik läuft nichts. Sie ist eine Art Befehlshaber geworden. Und macht die Menschen zu einer Geißel ihrer Zeit. Jedenfalls jene, die die Technik zum König ernannte haben …

Zufällig sehe ich auf mein Handy, das heute ja ein Smartphone ist. Egal. Mein Handy ist immer lautlos. Wenn ich mag, sehe ich drauf. Wenn genau dann jemand anruft, hat er Glück. Jedenfalls, wenn ich genau dann telefonieren möchte. „Guten Tag. Hier Film-And-Stage-Cast-Event-Show-Management“-irgendwas. Ich habe jetzt bereits meinen gewohnten Sprachraum verlassen. „Haben Sie ein Showreel? Einen Youtube-Channel?? Wir brauchen so einen Link, dass wir sie überhaupt als Schauspieler bei uns aufnehmen können. Möglicherweise sind sie nur Darsteller. Das konnte unser KI beim durchforschen ihrer Website nicht erkennen.“ Ich stelle mir gedanklich Schauspielergrößen vor, die ihrerzeit in ihrem Berufsmetier noch ein „Handwerk“ ausgeführt hatten. Sie waren meine Lehrmeister, wenn auch indirekt. Rolf Boysen, Thomas Holtzmann, Bruno Gans und viele andere.

Als sie so alt waren, wie ich heute, da mich der Anruf und die Foerderung erreicht, standen sie gerade in den 60er, 70er und 80er Jahren. Eine Zeit, nach der ich mich sehne. Eine, die mich erleichtert, wenn ich mich in sie hineindenke.

Vor 30 Jahren hatte ich meine Bühnenkarriere zunächst als Zauberer begonnen. Mir schien es eine gute Idee, mich wieder ein bisschen damit zu beschäftigen, ja, vielleicht mit ein paar Programmen unterwegs zu sein. Ich recherchiere über einen lieben Fraund, der ebenso lange als Zauberer unterwegs ist, in den letzten Jahren aber nicht mehr erreichbar war. Er hat sich rein auf digitale Magie konzentriert, erfolgreich bei großen Firmen weltweit bis nach Las Vegas unterwegs.

Hm, denke ich bei mir, als ich ihn vor 20 Jahren kennenlernte und wir beim Italiener am Tisch sitzend gemeinsam mit Stiften, Gabeln und Salz gezaubert hatten … da war meine Faszination über die Fähigkeit mit allem Krimskrams zaubern zu können doch viel größer. Es war so erleichternd, aus allem etwas Zauberhaftes gestalten zu können.

Ich hatte zwischenzeitlich als Zugbegleiter gearbeitet, und wurde mit einem Arsenal an Technik ausgestattet. Alles musste miteinander verbunden, aber einzeln bedient werden und nichts durfte fehlen, um miteinander kommunizieren zu können. Allerdings konnte ich weder kontrollieren noch Fahrkarten verkaufen. Denn die Programmierung der Technik war längst noch nicht fertig.

Meine Entwerterzange begutachtend sagte ein Herr einmal: „Ach, die ist aber noch aus Urzeiten, oder?“ Recht hat er; sie ist das einzige Arbeitsmittel, das ich wirklich ohne Strom und Programmierung bedienen durfte. Es ist erleichternd, es nutzen zu dürfen.

Als ich in den 80er Jahren meinen kleiner Bruder Diabetes geboren hatte, gab es noch Einwegspritzen zum Aufziehen. Seit knapp zehn Jahren geht das hervorragend mit einer Insulinpumpe. Die musste jetzt gewechselt werden. Weil neue Technik mit KI auf dem Markt ist, also jener künstlichen Intelligenz, die auch über die Befähigung meiner schauspielerischen Qualitäten entscheidet.

Mekrwürdig. Seitdem ich die „neue Technik“ nutze, laufen meine Werte komplett aus dem Ruder. Ich kann gar nicht mehr in der Art auf meinen Diabetes aufpassen, wie es mir bisher möglich war. Nämlich selbständig gestützt durch Routinen, in die ich Vertrauen hatte. Was mich erleichtert hat.

Ich kürze das ganze von hier an ab:
Meine Bankerledigungen soll ich online vollziehen. Zeitgleich mein Smartphone oder andere Möglichkeiten als Schlüssel für den Zugang nutzen. Bei der Steuererklärung ist das ja nicht anders. Ob man es kann ist gar nicht nur eine Frage der eigenen Fähigkeit, sondern vielmehr auch der Funktionalität. Denn entweder wird die Website überarbeitet, dazu aufgefordert, das Zertifikat zu erneuern, weil es abgelaufen ist, oder man hat derzeit keine Verbindung oder das Passwort vergessen.

War es nicht großartig, sich persönlich legitimiert zu haben, indem man einfach einem Menschen gegenüber gestanden hatte?

In Zeiten, in denen ein abgelaufener Impfstatus nach einem Jahr über eine App erneuert werden kann und Klimaaktivisten via Whatsapp und Internet zum Streik aufrufen – da hat sich etwas verschoben. Das Bewusstsein ist verloren gegangen für all das, was in uns steckt. Für das, woher wir gekommen sind. Das, was auch bestehen wird, wenn wir längst nicht mehr sind. Das Wunder der Natur und der damit verbundene Trieb, fortbestehen zu wollen.

Mittlerweile befürchte ich, dass wir nur noch so lange existieren, so lange der Akku der Technik funktioniert. Eine Existenzfrage, die nicht nur abhängig vom Energielieferanten ist.