Mein kleiner Bruder, echt süß!

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Ich habe zu viel Süßes gegessen, bin zu fett und habe natürlich und genau deswegen den schlimmen Diabetes – nicht! Mich faszinieren fachsimpelndende Pseudowissenschaftler, die mir etwas über Diabetes erklären wollen. Neulich wieder im Kollegenkreis passiert. Ebenso gut könnte ich ihm, dem Kollegen, über seine Schlafgewohnheiten der vergangenen Nächte erzählen; nämlich gar nicht.

Mein Diabetes ist so etwas wie mein kleiner Bruder. Ich pass‘ auf ihn auf, er macht mir keine Beschwerden. Er ist ein traumhafter Bruder. Wir vertrauen uns blind und haben jede Menge Spaß miteinander. Natürlich gibt es auch mal Ärger zwischen uns. Dann, wenn er ungefragt zu hoch hinaus ist und ich ihn nicht mehr herunterbekomme, von da, wo er gelandet ist. Genau so gerne springt er völlig überraschend auch mal in Tiefen und verlangt von dort aus nach Zucker. Mit Vorliebe dann, wenn man gerade Zähne geputzt hat.

Was ich gar nicht abhaben kann, wenn er als meine Krankheit bezeichnet wird. Ja, er nervt hin und wieder. Und manchmal da verlangt er schon gehörig viel Aufmerksamkeit. Aber er ist weder schwer, noch leicht und schon gar keine Krankheit.

Mal Butter bei die Fische und Klartext. Mir stellt es die Nackenhaare auf, wenn ich Berichten von Eltern über ihre an Diabetes schwer erkrankten Kinder folge. Ja, es ist nicht leicht für Eltern, Kinder mit Diabetes groß zu ziehen. Meine Mama kann Geschichten erzählen! Sie müssen sich quasi in ihr Gefühlsleben hineinversetzen können. Besonders dann, wenn möglicherweise gerade eine Unterzuckerung droht. Allerdings ist heute der Blutzuckerverlauf eines Diabetikers für die ganze Familie ablesbar auf dem Smartphone möglich; zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit. Und nicht nur das, sondern auch die Steuerung der Insulinzufuhr kann so übernommen werden; sogar über meilenweite Entferung. Das war 1985 noch nicht möglich, als ich „meinen kleinen Bruder“ bekommen hatte. Bis zur Jahrtausendwende gab es statt fernsteuerbarer Insulinpumpen zunächst Einwegspritzen mit Fläschchen, danach die sogenannten Pens, also längliche Insulinampullen mit Nadeln, die man wie einen Stift überall dabei haben konnte. Ich glaube mich richtig zu erinnern, dass mein Blutzuckergehalt bis Anfang der 90er Jahre noch mit Teststreifen über den Urin bestimmt werden musste. Mit einem Blutstropfen konnte man ihn erst ab Anfang der 90er Jahre vor jedem Essen messen. Die fünf Minuten Wartezeit auf das Testergebnis schienen mir damals ähnlich langwierig, wie es heute irgendwelche Jury-Bekanntgaben bei Wettbewerben sind.

Erst das Smartphone ab der Jahrtausendwende hat Neuerungen gebracht, durch die Diabetes heute schon beinahe zur Spielerei werden. Mittlerweile gibt es Apps, die über das aufgenommene Foto einer Mahlzeit den Gehalt der Kohlenhydrate bestimmen wollen.

Alles in allem stellt Diabetes heute (!) wirklich kein Hindernis mehr dar. Wir Diabetiker müssen nicht mehr oder weniger Kompromisse eingehen, als jeder Nichtdiabetiker in seinem Leben. Wir müssen ganz klar mehr Entscheidungen treffen. Und das täglich und immer situationsbedingt neu, möglichst ad hoc. Wurde wissenschaftlich ausgetestet. Das kann uns zeitweise angespannt wirken lassen. Ist in Ordnung.

Also bitte lassen wir die Kirche im Dorf und das Mitleid denen, die wirklich gehörige Einschränkungen in ihrem Lebensdasein hinnehmen müssen. Denn im Gegensatz zu manch anderem, der gegen eine Krankheit kämpft, können wir mit dem aktuellen Stand der Medizin und dank der Entwicklung vieler engagierter Menschen unsere Zeit genießen. Und nach Herzenslust versüßen.

PS.:
Solltest Du Diabetiker sein
und Fragen haben oder Unterstützung brauchen,
melde Dich jederzeit.

Ich freu‘ mich über weitere Schwestern und Brüder 😉